Dienstag, 28. Februar 2012

Die Kramer (1): Die Neue

Im Kommenden möchte ich meine Eindrücke zu den einzelnen Episoden der sechsteiligen Reihe "Die Kramer" festhalten. Die Serie entstand im Jahr 1969 für den Südwestfunk und erzählt Schulgeschichten aus dem Alltagsleben der späten Sechzigerjahre, die aus der Sichtweise der fortschrittlichen Pädagogin Frau Dr. Kramer (in der Hauptrolle: Barbara Rütting) erzählt werden.


Teil 1: Die Neue

Die junge Lehrerin Frau Dr. Kramer beginnt ihren Dienst am Carolus-Gymnasium Baden Baden. Zuvor hatte sie Mädchen am Köster-Gymnasium der Stadt unterrichtet, nun steht sie vor einer Klasse 18-jähriger Jungen. Der Unterschied macht sich bemerkbar - nicht zuletzt auch im Kollegium. Hier muss "die Kramer" ihre Ansichten gegen einige Herren verteidigen, die nach wie vor von althergebrachten Standards und Idealen überzeugt sind.

Die Sache mit dem Bart
Ob es ein Zufall ist, dass "Die Kramer" wie "Die Lümmel von der ersten Bank" in Baden Baden spielt? Sicher war die Wahl des Schauplatzes durch die Verantwortlichkeit des Südwestfunks für die Produktion einigermaßen eingeschränkt, doch auch im dortigen Sendegebiet hätten sich diverse andere Städte angeboten. So aber bleibt das inszenierte Schulwesen nach wie vor an einem Ort konzentriert, der imstande ist, die Brücke zwischen rebellischer Konglomeration und grüner, hinterwäldlerischer Pampa zu schlagen. Davon wird die Sendereihe noch mehrfach profitieren, wenngleich das Aufeinandertreffen von Fortschrittlichkeit und Verstocktheit in keiner anderen der sechs Episoden so deutlich geschildert wird wie in "Die Neue".

Weniger die Ankunft der Rütting steht im Mittelpunkt als vielmehr die Frage, ob es zumutbar ist, dass ein Schüler einen Vollbart trägt. Ja, tatsächlich, im Jahr 1969 soll das eine Frage gewesen sein, über die debattiert wurde. Und zwar mit Herz und Seele. Es kristallisieren sich zwei Parteien im Lehrerzimmer heraus, zu deren glühendsten Fürsprechern Barbara Rütting auf der einen und Hans Epskamp auf der anderen Seite werden. Beide Darsteller haben - getrennte - Wallace-Erfahrung, kennen sich also mit Dolchstichen in den Rücken aus, unterscheiden sich aber gravierend darin, wie sie ihre Kenntnis anwenden. Mit welcher Hochnäsigkeit und Geringschätzung Epskamp im Gegensatz zur verständnisvollen Rütting agiert, ist ein Beweis dafür, dass dieser Nebendarsteller, der als Unsympath in Miniauftritten bekannt war, häufig unter Wert verkauft wurde.

Die Sache mit dem Bart wird unterdessen zu einer Frage der Zivilcourage stilisiert - etwas hochgestochen sicher, aber das liegt wohl vor allem im 25-Minuten-Format, in dem Überspitzungen nicht zu umgehen sind. Vielmehr zeigt eine derartige Herangehensweise, dass die Serie es ernst meint bei der Schilderung schulischer Alltags- und auch pädagogischer Probleme, dass sie nicht zuvorderst mit Lachern und Blödeleien unterhalten will wie ihr Kino-Pendant, sondern dass ihr daran gelegen ist, ein stilisiertes Stück Spätsechzigerrealität in den Fokus der Öffentlichkeit zu tragen. Schön, wenn man das auch heute noch mitverfolgen kann.

Regie: Hans Müller. Drehbuch: Günter Dönges nach einer Idee von Paul Hans Rameau. Kamera: Siegfried Blohm, Hans-Jörg Allgeier. Ton: Karl-Heinz Braun, Rolf Schwarze. Schnitt: Romy Essig. Musik: Martin Böttcher. Bauten: Renate Meduna. Produktionsleitung: Hans-Bolko Marcard. Eine Produktion der Werbung im Südwestfunk GmbH, 1969. TV-Erstsendung: 6. November 1969.

Die Personen und ihre Darsteller:
Frau Dr. Kramer: Barbara Rütting. Direktor Dr. Berwig: Herbert Tiede. Dr. Moosmann: Hans Epskamp. Dr. Vollmer: Ernst A. Schepmann. Frau Schön: Helene Elcka. Frau Weber: Dora Tillmann. In weiteren Rollen: Jörg Marquard, Jürgen Lentzsch, Georg Fischer, Stefan Kayser u.v.a.

"Die Kramer" ist bei PolarFilm auf DVD erschienen. Das 2-Disc-Set umfasst alle sechs Episoden der Serie in chronologischer Reihenfolge und erstklassiger Bildqualität. Die Edition ist bei allen DVD-Händlern zum Preis von 12 bis 17 Euro erhältlich.

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