Freitag, 9. Dezember 2011

Klassenkeile


Pauker werden ist nicht schwer, Schüler sein dagegen sehr

Um ihren Freund ungestört heiraten zu können, hat sich Schülerin Manuela einen so genialen wie verrückten Plan ausgedacht: Ihre Freundin Katja, die als Journalistin arbeitet und sowieso gerade für einen Artikel über Schulen recherchiert, soll nach der Versetzung an ein anderes Gymnasium ihre Rolle übernehmen. Katja geht auf den Tausch ein - unwissend, dass ihr zukünftiger Klassenlehrer Dr. Wagner ein überaus charmanter "Lehrkörper" ist...


Filmkritik

Die meisten Epigonenproduktionen, gerade aus Karl Spiehs' Lisa-Film-Schmiede, können mit den sieben qualitativ hochwertigen Originalen der Franz-Seitz-Film oft nicht ansatzweise mithalten. Deshalb ist es ein Glücksfall, dass die Rialto-Film, die seinerzeit zu den größten Produktionsfirmen des Landes zählte, nach ihrem Beitrag "Zum Teufel mit der Penne" nicht das Interesse am Genre verlor, sondern noch drei weitere Komödien herstellte, die im Wesentlichen ähnlich gelungen sind wie Franz Seitz' Anläufe. "Klassenkeile" ist vielleicht der beste der Non-"ersten Bank"-Filme.
Der rasche Aufbau einer Geschichte um die Doppelidentität einer berüchtigten "Problemschülerin" (mit Esprit: Anita Kupsch - schade, dass keine Planung, sie in einem Wallace-Film zu besetzen, realisiert wurde) sorgt dafür, dass "Klassenkeile" schon nach kurzer Zeit in den typischen Hauptteil der Lümmelfilme, die dicht aufeinanderfolgende Reihe von Schulstreichen, einsteigen kann. Man verzichtet dabei auf keinen alten Hut: Sowohl weiße Mäuse als auch eine Reinkarnation der berühmten Heidelbeerwein-Szene aus Spoerls "Feuerzangenbowle" gibt es zu sehen. Hierbei erweist sich vor allem der Cast als Volltreffer, nicht zuletzt weil es für jeden der Original-Lehrer ein passendes Pendant gibt:
  • Der moderne Pädagoge mit Hang zur Musik, sonst gern von Peter Alexander, hier vom kürzlich verstorbenen Walter Giller auf sehr sympathische Weise gespielt,
  • der scharfe Geschichtslehrer mit Hang zu preußischer Gefolgsamkeit, wie auch bei Seitz in Gestalt des unnachahmlichen "Knörzerich" Rudolf Schündler,
  • die verklemmte Biologielehrerin, aus "Zum Teufel" übernommen: Inge Wolffberg,
  • der Chemielehrer, dem übel mitgespielt wird, sonst Balduin Baas als Dr. Blaumeier, hier Ulrich Beiger als Professor Hasemann sowie
  • der nett-verschusselte Direktor, für den man statt Theo Lingen den Kabarettisten und geborenen Görlitzer Werner Finck gewinnen konnte.
Sehr amüsant anzusehen ist außerdem Siegfried Schürenbergs Porträt eines Illustriertenkönigs, der ähnlich seiner anderen Rialto-Auftritte trotz ständiger Aufgeregtheit immer sympathisch daherkommt. Vor allem auch bei ihm tragen die pointierten und wunderbar zugespitzten Dialoge des Autorentrios Früchte - "Sie lügt, ist faul und verrückt. Vielleicht wird sie doch noch eine gute Journalistin", befindet sein Herr Berg trocken über Katja Hutten.
Zwei weitere Details machen "Klassenkeile" besonders: Zum einen spielen nur äußerst wenige Pauker-Filme im Winter. So schön verschneite Aufnahmen findet man ansonsten nur in "Morgen fällt die Schule aus" - verschneite Berlin-Aufnahmen hingegen gab es sonst nie. Außerdem handelt es sich um den einzigen Streifen außerhalb der sieben "ersten Bank"-Teile, in dem Hans Terofal einen Gastauftritt hat. Als Pedell überzeugte er von 1967 bis 1972 durch Fahrigkeit, langsames Verständnis und einen liebenswert karikierten Hang zum Alkohol. Hier sieht man ihn als beharrlichen bayerischen Blaskapellendirigenten, der wie auch Georg Bloch mit dem gesamten Lehrkörper aneinander geraten darf. Erwähnenswert fällt überhaupt die gesamte Musikuntermalung von Martin Böttcher aus, die ideal zum von Rolf Wilhelm und Peter Thomas etablierten Stil der Originalfilme passt. Einzig ein wenig zwanghaft integriert wirkt Wilmas Auftritt am Ende des Films, auf den man zur Aufrechterhaltung des hohen Tempos bis zum Schluss gern hätte verzichten können.

Constantin Film bewarb den Film seinerzeit großmundig als "das tollste Pauker- und Pennäler-Lustspiel" oder einen Film "erster Klasse". Sicher ist beides etwas übertrieben, denn weder erfindet "Klassenkeile" die Welt des deutschen Films neu, noch schwebt sie meilenweit über anderen Produktionen ihrer Art. Dennoch gehört sie als grundsolide, hochamüsante und in Verhalten, Kleidung, Wortwahl und Schauplätzen einen idealen Einblick in die späten Sechzigerjahre bietende Schulkomödie auf den Radar jedes geneigten Zuschauers.

Ein Kuriosum am Rande: Gleich mehrere Querverbindungen zu anderen Rialto-Produktionen tauchen in den Schlussszenen von "Klassenkeile" auf. Als Katja Hutten ihren Pauker Dr. Wagner aus Wut mit Büchern bewirft, ist klar zu erkennen, dass der 1962 von Rialtos Stammregisseur Alfred Vohrer verfilmte Edgar-Wallace-Roman "Die Tür mit den sieben Schlössern" dabei ist. Zum Kinostart März 1969 lief seit einem Monat der letzte Vohrer-Wallace-Film "Der Mann mit dem Glasauge" in den deutschen Kinos. Eine Szene später verwechselt Direktor Zibelius den Kinderstar Wima mit Heintje, was als Anspielung auf den 1968er "Lümmel"-Film "Zum Teufel mit der Penne" verstanden werden kann.

Walter Giller, Uschi Glas und eine typische 60er-Jahre-Goldmann-Ausgabe von "Die Tür mit den sieben Schlössern"
Zitate
  • Ich versuche gerade, bei den jungen Leuten die Andacht wachzurufen, die Preußens Gloria gebührt. Und was macht Dr. Wagner in seiner Oberprima? Negermusik!
  • Sie lügt, ist faul und verrückt. Vielleicht wird sie doch noch eine gute Journalistin.
  • Der Sex kommt auch auf uns zu - unaufhaltsam!
  • Wozu habe ich denn eine Tochter, wenn ich nicht schreien darf?
Cast und Crew

Regie: Franz-Josef Gottlieb. Regie-Assistenz: Ulrich Strobel. Drehbuch: Dr. Kurt Nachmann, Paul Hengge, Franz-Josef Gottlieb. Kamera: Klaus König. Kamera-Assistenz: Klaus Beckhoff, Rainer Wanderscheck. Bauten: Hans-Jürgen Kiebach, Rüdiger Schramm. Ton: Gerhard Müller. Kostüme: Ingrid Zoré-Neugebauer. Masken: Charlotte Kersten, Willi Nixdorf. Schnitt: Jutta Hering. Musik: Martin Böttcher. Alle Lieder auf Metronome Schallplatten. Aufnahmeleitung: Gerhard Selchow, Egon Wittur. Produktionsleitung: Herbert Kerz. Herstellungsleitung: Fritz Klotzsch. Drehzeit: 29. Januar bis 01. März 1969. Atelier: CCC-Studios, Berlin. Außenaufnahmen: Berlin, Baden-Baden. Standfotos: Max Marhofer. Produktionsfirma: Rialto Film Preben Philipsen GmbH & Co. KG, Berlin und Terra Filmkunst GmbH, Berlin. Produzent: Horst Wendlandt. Erstverleih: Constantin-Film, München. Weltvertrieb: Export Bischoff & Co. GmbH, München. Länge: 2410 Meter. Filmdauer bei Kinoprojektion (24 Einzelbilder pro Sekunde): 88 Minuten. Format: 35 mm; Farbe (Ferraniacolor), 1:1.66. Uraufführung (Premiere): 28. März 1969, Gloria Palast, Berlin. Uraufführung (Massenstart): 28. März 1969.

Die Personen und ihre Darsteller:
Dr. Wagner: Walter Giller. Katja Hutten: Uschi Glas. Direktor Dr. Zibelius: Werner Finck. Manuela Schulz: Anita Kupsch. Vater Schulz: Willy Millowitsch. Klaus: Wolfgang Condrus. Dr. Krapp-Krapproth: Rudolf Schündler. Dr. Sieglinde Boll: Inge Wolffberg. Professor Hasemann: Ulrich Beiger. Studienrat Lenz: Jochen Schröder. Berg: Siegfried Schürenberg. Marianne Kettelhut: Tilly Lauenstein. Peter Keuthmann: Harald Dietl. In weiteren Rollen: Gerd Lohmeyer,  Hans Terofal, Herbert Weissbach, Ewald Wenck, Matthias Grimm, Heidrun Hankammer, Wilma u.v.a.
  • Wilma singt: "Ein Tag wie dieser Tag"

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